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Literal-Videos im Unterricht

Ein «Literal-Video» ist eine neue, hippe Kunstform aus dem Bereich Videobearbeitung. Das Erstellen eigener Videos im Unterricht macht Spass und kann vielseitig zur Medienbildung beitragen.

Im Blogartikel berichte ich von ersten Erfahrungen und gebe Tipps und Tricks für die erfolgreiche Produktion eigener Literal-Videos.


Literal-Video - Was ist das?

 

Bei einem Literal-Video (engl. im Wortsinn) wird der Original-Text eines Musikvideos ersetzt. Das heisst, der Gesang wird aus dem Video entfernt und neu gestaltet. Der neue Liedtext bleibt sehr nah an dem, was im Video zu sehen ist und beschreibt weitestgehend das Dargestellte in den einzelnen Szenen. So ähnlich wie: WYSIWYG

What you see, is what you get!

Ein Beispiel zum Einstieg

Hier das Original:

Und hier das Literal-Video davon:

Worin unterscheidet sich diese Medienproduktion von anderen?

Werke urheberrechtlich geschützter Interpreten sind bei Videoproduktionen immer heikel. Daher werden die SuS im Unterricht bei der Medienproduktion grundsätzlich angeleitet, mit lizenzfreien oder selber produzierten Materialien zu arbeiten. Bei diesem Projekt ist dies anders: Für einmal müssen sogar Videos bekannter Künstler ausgewählt werden, um sie zu verändern. Und trotzdem bleibt das Urheberrecht mit all seinen Facetten bei der ganzen Arbeit ein zentrales Thema.

Ausserdem: Kein Filmschneiden erforderlich!



Darf man das?

Das sind doch auch urheberrechtlich geschützte Werke?

Ja, man darf. Die Künstlerinnen und Künstler freuen sich sogar darüber. Allerdings muss erkennbar sein, dass es sich um ein Literal-Video handelt.

Literal-Videos kommen urspünglich aus den USA und gehören in die Kategorie der «Rede- und Kunstfreiheit». Das Erstlingswerk (Ende 2008) wurde allerdings noch kritisch beäugt und erst nach 8 Monaten Sperrzeit auf der Videoplattform freigegeben.  Seither sind Literal-Videos eine anerkannte Kunstform.(Quelle: Wikipedia)

 

Im Moment hat diese Kunstform einen weiteren Hype erreicht. Namhafte Künstler stellen selber Literal-Videos ihrer Originale her und reagieren erfreut über die Nachahmung durch Fans, die dadurch das Original noch bekannter machen. Die Literal-Videos sind auch nicht käuflich, sondern klar als Kunstform des Originals erkennbar. In der Regel wird im Literal-Video auch auf das Original bzw. den Urheber hingewiesen.

 

«Wenn man das Video neu textet, ist es fast wie ein eigenes, neues Video.»

Schüler, 3. Oberstufe



Hintergrund

beliebteste Webseiten Jugendlicher
beliebteste Webseiten Jugendlicher

Die Beliebteht von YouTube ist bei Jugendlichen ungebrochen.

Siehe James-Studie 2016

Das Anschauen von Musikvideos ist ebenfalls sehr beliebt, erst recht, weil ein Grossteil der Jugendlichen Musik ausschliesslich über diese Plattform bezieht und zahlreiche Kanäle beliebter Künstler abonniert hat.

Dank eigenem YouTube-Konto produzieren und veröffentlichen auch zunehmend Jugendliche selber eigene Videos.

 

Oft geschieht dies recht unbekümmert und ohne Einhaltung des Urheberrechts. Viele Jugendliche sind der Ansicht, dass jede Musik gratis ud legal verfügbar sei, wenn sie auf YouTube zu finden ist.

 

Bei der Produktion eines Literal-Videos können Gesetze und Regeln über Down- und Upload diskutiert und erlebt werden.

Die Auseinandersetzung mit der Bildsprache im Video verglichen mit dem Inhalt des Liedtextes, lädt zum Nachdenken ein. Ähnlich wie bei einer Gedichtbetrachtung kann darüber diskutiert werden, was der Künstler damit meint und ausdrücken will und ob ihm dies gelungen ist.

 

Das Literal-Video macht anschliessend die Unterschiede zwischen Originaltext und tatsächlichem Film deutlich sichtbar.



Vorüberlegungen und technische Bedingungen

  • Nur wenige SuS sind gesanglich so fit wie der Interpret im Original. Ausserdem sind einige Jungs in diesem Alter im Stimmbruch. Das Gesangstalent darf daher bei der Produktion kein Killerkriterium sein.
  • Gruppengrösse: ideal im Zweierteam, maximal zu dritt, damit die Zusammenarbeit gelingt und alle eine Rolle haben.
  • minimale Ausrüstung: 1 PC mit Internet pro Gruppe, dazu 1 Kopfhörer mit Mikrofon, ersatzweise 1 Handy (für Audioaufnahme)
  • 1 USB-Speicherstick pro Gruppe
  • Gratis-Programm: Movie Maker
  • Internet: YouTube, Convert2mp3
  • Format-Factory: Umwandlung von Dateiformaten (falls nötig)


How to? Eine Anleitung in 13 Schritten:

1. Karaoke-Version + Musikvideo eines bestimmten Songs auf YouTube finden und z.B. mit convert2mp3.net downloaden (Karaoke als mp3 und Musikvideo als wmv, bzw. mp4, je nach Programmversion)

 

2. Alles in einem Literal-Video-Ordner auf dem USB-Stick abspeichern

 

3. Movie-Maker starten, als Projekt speichern: Alle benötigten Dateien in denselben Ordner stellen und nur von da aus arbeiten. Zwischendurch immer wieder speichern!

 

4. Musikvideo einfügen und Videolautstärke auf 0 setzen

 

5. Karaoke-mp3-Version als Musik einfügen und genau anpassen

 

6. Video sichten und gemeinsam überlegen, was zu sehen ist und was davon man aufschreiben will

 

 7. Danach neuen Text mittels „Bildtitel“ in den Film an den passenden Stellen einfügen. Im Text soll stehen, was zu sehen ist. Text dabei kurz halten, damit er in die Szene passt

8. Rechtschreibung korrigieren!

 

9. Text sehr gut üben (singen, rappen, rhythmisch vorlesen), ev. nochmals im Video korrigieren, damit alles passt

 

10. Video abspielen und dazu den Text als Audiokommentar mit Mikrofon aufnehmen (Variante: Aufnahme mit Handy)

 

11. Falls die Aufnahme mit dem Handy gemacht worden ist: Die Aufnahme auf den PC übertragen und als mp3-Datei zuerst in den Ordner speichern und dann von da aus beim Audiokommentar einfügen. Ev. ist eine Umwandlung der Datei in ein mp3-Format nötig.

 

12. Abspann und Titel hinzufügen (Hinweis auf Literal-Video)

 

13. Als Film speichern



Download
Anleitung Literal-Video
Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Erstellung eines Literal-Videos im Unterricht
Anleitung_Literal-video_SuS_cb.pdf
Adobe Acrobat Dokument 466.3 KB

«Man denkt, es sei ganz einfach, jede Szene im Video genau zu beschreiben. Aber das ist es gar nicht.»

Schülerin, 3. Oberstufe

Kleiner Einblick in einige Szenen der erstellten Videos im Unterricht:



Herausforderungen - Tipps und Tricks

  • Für die SuS muss von Anfang an klar sein, dass sie nicht genötigt werden zu singen, wenn sie dies nicht freiwillig möchten.
    Der Spass an der kreativen Umsetzung von Sprache in Verbindung mit dem bewegten Bild soll im Zentrum stehen. Es darf gesungen, gerappt oder dynamisch vorgelesen werden.
  • Der Text darf humorvoll sein. Es gelten aber klare Regeln bezüglich Fäkalsprache und Jugendschutz ;)
  • Das Vorbereiten der Videos (Ersatz der Original-Tonspur durch die Karaoke-Version) dauert, weil sich die SuS oft darin verlieren oder sich nicht entscheiden können. Varianten: Zu Hause machen lassen oder eine Anzahl vorbereiteter Videos selber zur Verfügung stellen.
  • Auf dem Netz wird in einigen Tutorials gezeigt, wie man via Audacity die Gesangspur aus dem Originalvideo herauslösen kann. Ich habe dies mit mehreren Videos versucht und es hat bei keinem zufriedenstellend geklappt. Daher rate ich von dieser Variante ab. Besser ein Video wählen, zu dem eine Karaoke-Version erhältlich ist und beides zusammenfügen.
  • Seine eigene Stimme auf dem Video zu hören, ist anfänglich für die SuS schwierig. Je öfter dies aber geschieht, desto "normaler" wird es.
  • Auch wenn der Text in Mundart geschrieben wird, gelten gewisse Rechtschreibregeln, damit der Text verständlich bleibt (z.B. Nomen gross, Verben klein schreiben etc.) Das Korrigieren dauert länger als man denkt! Diesen Schritt finden die SuS zwar zunächst unnötig. Die Diskussion darüber, wie sorgfältig etwas vor einer Veröffentlichung korrigiert und verbessert werden soll und welchen Eindruck dies über den Ersteller vermittelt, hat die SuS aber überzeugt.
  • Ein ganzes Video ist oft zu lang. Besser nur zwei Minuten eines Videos bearbeiten lassen, um den Spass an der Sache nicht zu verlieren.
  • Wenn gleichzeitig das Schulhaus von Baulärm geplagt ist, können Audioaufnahmen eine grosse Challenge sein. Mit dem Handy kann dies auch im Freien in einer ruhigen Umgebung gemacht werden.
  • Oft schreiben die SuS zu lange Texte, die schwer zu sprechen sind. Weniger ist mehr!
  • Wenn Ideen fehlen, was man schreiben könnte, Tricks anwenden: z.B. auf etwas hinweisen, das jetzt dann gleich im Bild auftauchen wird oder auf ein Detail im Video aufmerksam machen, z.B. im Egge stoht en roti Bluemevase


Einbettung im Lehrplan 21

Kompetenzaufbau: wissen - können - wollen

Medien - Kompetenz 3

Die Schülerinnen und Schüler können Gedanken, Meinungen, Erfahrungen und Wissen in Medienbeiträge umsetzen und unter Einbezug der Gesetze, Regeln und Wertesysteme auch veröffentlichen.



Weitere thematische Aspekte

  • Was muss ich beachten, wenn ich eigene Videos veröffentliche? Welche Plattform nutze ich dafür und weshalb?
  • Wie kann ich mein Image pflegen und Werbung für mich und meine Veröffentlichungen (Bilder, Videos) so gestalten, dass ich sie auch in ein paar Jahren nicht bereue?
  • Bilder wirken - Filme erst recht. Was ist in Musikvideos  überhaupt zu sehen und warum?
  • Vergleich Video-Originaltext. Wie interpretieren SuS die Kombination? Wie verstehen sie die Umsetzung?
  • Welche Musikvideos sind angesagt? Weshalb? Warum war Gangnamstyle dermassen erfolgreich? Wie wird ein Video bekannt? Welche Plattformen sind momentan aktuell und wie kann ein Video viral gehen? Wie könnte dies für das Marketing einer Firma eingesetzt werden?
  • Wie kann ich ein Literal-Video veröffentlichen? Darf ich das überhaupt?
    Wie muss ich dieses Video kennzeichnen?
  • Was denken Interpreten darüber? Wie verdienen Musiker ihr Geld? Warum gibt es Interpreten, die ihre Songs gratis zur Verfügung stellen? Wo tun sie dies?
  • "Sie - es goht ned!!"
    Umgang mit Programm Movie-Maker
    Welche Dateiformate sind nötig und wie kann man sie passend machen? Warum lohnt es sich, bei Movie Maker mit einer Ordnerstruktur zu arbeiten?
  • speichern - speichern - speichern - oder daraus lernen, dass man nicht gespeichert hat...
  • Ausdauer - Ausdauer - Ausdauer
    Wer hat den Biss, auch noch an Details herumzufeilen? Wessen Frustrationsgrenze ist beim kleinsten Patzer bereits erreicht?
  • Arbeit in der Gruppe - Wer macht was und warum? Wie kann ich meine Komfort-Zone erweitern - bei Gruppenarbeiten und beim Arbeiten mit digitalen Medien?
  • Wenn Plan A nicht möglich ist, muss ein Plan B her - aufgeben gibts nicht! Wer bleibt auch dann motiviert, wenn nicht alles rund läuft?

«Es macht Spass, zusammen im Team ein Video zu bearbeiten und Insiderwörter in den Text einzubauen.»

Schüler, 3. Oberstufe


Links zum Weiterklicken...


«Man muss exakt arbeiten, aber wenn man das Video dann fertig hat, ist es schon noch cool!»

Schülerin, 3. Oberstufe



Fazit

Super Medienproduktion mit Potenzial! Endlich darf man mal mit urheberrechtlich geschützten Werken rumspielen! Die Schülerinnen und Schüler freuts und sind zusätzlich motiviert. Die Herstellung eines Literal-Videos schult das präzise Arbeiten, fordert aber etwas Ausdauer und Fantasie. Technisch ist die Herstellung nicht sehr anspruchsvoll. Aber es braucht Mut und Konzentration für die Aufnahme. Für Literal-Videos bietet sich eine Zusammenarbeit mit der Deutsch- oder Musik-Lehrperson geradezu an. SuS können mit etwas Durchhaltewillen, Fleiss und Kreativität ihre Kompetenzen in vielen Bereichen deutlich erhöhen. Unerfahrene Lehrpersonen holen sich ein Coaching bei der Mediothekarin oder geben ambitionierten SuS einen "Lehrauftrag".

Zur Nachahmung herzlich empfohlen!

Zeitaufwand: Mit einer motivierten Klasse, die bereits Vorkenntnisse im Bereich Videobearbeitung hat, bist du ab 2 Doppellektionen dabei. Wer zusätzliche Aspekte beleuchten will, kann locker weitere 2 Lektionen einsetzen. Perfektionisten kommen ab 4 Doppellektionen auf ihre Kosten.

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Kommentare: 1
  • #1

    Markus Brazerol (Montag, 26 Juni 2017 11:04)

    Liebe Claudia
    Einmal mehr allerbesten Dank für die tolle Aufbereitung dieser Thematik; spannend - v.a. auch was den Bereich Urheberrecht betrifft.
    Liebe Grüsse
    Markus