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Überflüssige Mediotheken?

Mit der provokativen Aussage, dass das Internet Bibliotheken bald überflüssig mache, entfachte Rafael Ball, der Leiter der ETH-Bibliothek, unlängst eine heftige Diskussion über Sinn und Zweck solcher Einrichtungen.

Ob an der Aussage was dran ist, welche Aufgaben Mediotheken in Zukunft vermehrt haben und warum ihre aktive, multimediale Präsenz besonders an Schulen bedeutsamer denn je ist, davon handelt dieser Blogartikel.


Eines muss man Rafael Ball lassen: Er versteht es, sich Gehör zu verschaffen und ist ein Meister der Provokation! Und gleich vorweg: Natürlich hat er nicht nur Unrecht. Schliesslich muss jede Bibliothek diejenigen Angebote machen können, die sich ihre Nutzerinnen und Nutzer wünschen. Das lernt man vermutlich im ersten Semester jedes BWL-Studiums. Fragt man also einen ETH-Studenten, ist sofort klar, was die Bibliothek ihm bieten muss: einen ruhigen Arbeitsplatz und eine tadellosese WLAN-Verbindung mit Zugriff auf alle möglichen digitalisierten Inhalte, um ohne unnötige Zeitverschwendung die nächsten Credits zu erlangen. Dazu ausgedehnte Öffnungszeiten, am liebsten die ganze Nacht hindurch und einen leistungsfähigen Farbdrucker, der die Arbeit gleich auch noch binden kann. Bücher zum Ausleihen würden in diesem Kontext wohl eher selten genannt werden.

Ein Plädoyer für die Oberstufenmediothek

Die Wünsche der Kundschaft einer Oberstufenmediothek sind da schon weit differenzierter, farbiger, anspruchsvoller, diffiziler, vielfältiger und heterogener...

 

Kürzlich fragten mich die Schul- und Gemeindebibliotheken des Kantons Bern bibliobe.ch  an, welche Gelingfaktoren es denn für eine erfolgreiche Jugendmediothek gäbe . Ob ich da nicht einige Tipps hätte und einen Artikel darüber schreiben könnte...

Zum Glück waren die in der Mediothek anwesenden Jugendlichen freudig mit dabei und belieferten mich bereitwillig mit den in ihren Augen wichtigsten Facts - zugeschnitten auf die Mediothek Sternmatt 2. Und wer den ganzen Artikel liest, wird schnell merken, dass eine Mediothek für Jugendliche weit mehr ist als ein Hort für verstaubte Bücher auf Regalen, die im Weg rumstehen oder eine unbetreute Computerecke, sondern ganz im Gegenteil ein Ort, auf den niemand im Schulhaus verzichten möchte, weil die Mediothek eben viel mehr bedeutet:

Sie ist Lernwerkstatt, Recherchezentrum, Teenager-Treff, Leseinsel, Media-Factory, Eventhall, Chillout-Ecke, f2f-Chatraum, Lehrerberatung, E-Corner, Bastelecke, Klagemauer, Herzschmerz-1. Hilfe-Anlaufstelle, Hausaufgabenhilfe, Informations- und Datingplattform, Kriseninterventions- und Lebensberatung, kurz, ein Ort, an dem sich alle wohlfühlen und es immer was Neues zu entdecken gibt.

Hier kriegt man Infos und Medien digital oder direkt auf die Hand. Individuelle Tipps und Tricks inklusive.

 

Ein Blick in ein Buch lässt LeserInnen zu Abenteurern, Helden, Gangstern, Erobern und Prinzessinnen werden. Und selbst die dunkelste Dystopie oder der krasseste Thriller kann allein durch Lesekompetenz bewältigt werden.

 

Herr Google weiss zwar vieles, aber die Mediothekarin kann dann doch noch besser beraten, welche der Quellen verlässlicher ist und hat auch grad noch ein Buch zum Thema parat, das erstens den Sachverhalt weit einfacher erklärt als der unverständliche Wikipedia-Artikel und zweitens beim Anschauen auch noch richtig Spass macht. Ausserdem weiss sie, wie man eine Bewerbung layoutet, einer Präsentation den letzten Schliff gibt, wie man ein Format umwandelt und wie man es schafft, nicht das ganze Internet auszudrucken, wenn man nur eine kleine Information braucht. Sie kann Bücher und Hilfe vermitteln, ausrufen, wenn es zu laut wird und nimmt auch gern Medienwünsche und App-Tipps entgegen.

 

Das angesagteste Game? Der coolste Film? Der heftigste Roman? In der Mediothek werden diese Insiderinfos direkt von Peer-to-Peer weitergereicht oder auf den gut präsentierten Regalen entdeckt. Es mangelt weder an bequemen Arbeits- und Sitzgelegenheiten, noch an geduldigen Zuhörern. Sei es, um sein Herz auszuschütten, über die vergeigte Mathearbeit zu klagen oder seine Leseflüssigkeit zu steigern: Mediotheks-Assistent Mambo bleibt gelassen und hört zu. Und das macht ihm so leicht kein ETH-Professor nach ;)

 

Ausserdem: An keinem Ort spielt sich Agar.io besser als inmitten der Kumpels im E-Corner. Auf keinem Sofa liest sich das neuste Bravo bequemer als im Kreise der Freundinnen in der Sofa-Ecke und nirgends können SocialMedia-Tipps chilliger ausgetauscht werden als in der Fatboy-Ecke der Mediothek...

Die Mediothek als Medienzentrum

Die Beliebtheit und Attraktivität unserer Mediothek wird nicht schwinden. Aber - und auch da gebe ich Rafael Ball Recht - sie wird laufend neue Aufgaben übernehmen und immer mehr ein Ort der Beratung, der Produktion und des Informations- und Wissensaustausches sein. Ein Ort, der kollaboratives Arbeiten ermöglicht und gleichzeitig Raum für kreative Ideen bietet - mit einem top aktuellen, äusserst attraktiven und auf die Kundschaft zugeschnittenen Medienbestand, der inspiriert und animiert.

Gerade weil die Anforderungen der medialisierten Welt an ihre Nutzerinnen und Nutzer immer breitere Kompetenzen verlangen, muss es niederschwellige Orte geben, an denen dieses Wissen vermittelt wird. Die Mediothek bietet sich dabei geradezu an. Dabei ist das Neben- und Miteinander von gedruckten Büchern, wie haptischen Trouvaillen mit textilen Covers und originellen, selbst produzierten E-books gewollt und angestrebt. Unser Ziel bleibt fest im Fokus: Schülerinnen und Schüler auf das Leben nach der Schule vorzubereiten und sie zu selbstbestimmten, kompetenten, verantwortungsbewussten und vorausschauenden Mediennutzern zu machen.  Egal, um welche Medien es sich dabei handelt.

 

In diesem Sinne: Wir bleiben am Ball.

Ich freue mich über deinen nächsten Besuch in der Mediothek Sternmatt 2.

Es gibt immer was Neues zu entdecken...


Weiterlesen/-hören:

Inhalt: Die Bibliothek der Zukunft ist kein Bücherabhollager mehr. Sie ist vielmehr ein Ort der Begegnung und des Austauschs von Informationen und von Wissen, wie man bestimmte Informationen findet. Diese Sendung ist auch im Baarer Nanoo.tv-Archiv abgelegt.


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Kommentare: 2
  • #1

    alain (Donnerstag, 18 Februar 2016 19:34)

    ein Superartikel! merci und Bravo

  • #2

    Markus Brazerol (Montag, 22 Februar 2016)

    Liebe Claudia
    Allerbesten Dank für diesen interessanten Artikel. Wie so oft steht der Mensch hinter einem Produkt im Zentrum. Somit müssen "pauschal" geschriebene Artikel immer mit Vorsicht gelesen werden. Unsere Mediotheken braucht es heute und auch in Zukunft :-).

    Liebe Grüsse

    Markus