· 

«13 reasons why» - Kann eine umstrittene Netflix-Serie für die Medienbildung eingesetzt werden?

 

Während die neue Netflix-Serie über den dramatischen Selbstmord einer gemobbten Mitschülerin bei Jugendlichen grosse Beliebtheit geniesst, wird die Serie in den Medien von Erwachsenen als gefährlich beschrieben und mit Warnschildern versehen.

 

Im Blogartikel gibt’s Infos zu den Hintergründen und eine Palette voller Chancen für die Medienbildung, die sich hier bieten können. 


Die Serie

«13 reasons why» ist eine aktuelle Drama-Serie, die man auf dem Streamingdienst Netflix anschauen kann und beruht auf der Buchvorlage «Tote Mädchen lügen nicht» von Jay Asher. Sie erzählt die Geschichte des Highschool-Mädchens Hannah, das sich nach heftigem Mobbing umgebracht hat. Zwei Wochen nach ihrem Tod erhält ihr Mitschüler Clay Jensen ein Paket mit sieben Audio-Kassetten. Darauf erzählt Hannah 13 Gründe und Situationen, die zu ihrem Selbstmord geführt haben und benennt Personen, denen sie die (Mit-)Verantwortung dafür gibt. Clay ist einer der Beschuldigten und kommt dadurch den dunklen Geheimnissen von Hannah und vieler anderer Mitschüler auf die Spur.


Dylan Minnette  -  Selena Gomez - Katherine Langford
Dylan Minnette - Selena Gomez - Katherine Langford

Kontroverse Presseartikel


Facts

  • Das Buch des amerikanischen Schriftstellers Jay Asher kam bereits vor 10 Jahren auf den Markt und ist seit 2010 im Bestand der Mediothek
  • Die besonders bei Jugendlichen beliebte Serie läuft seit 31. März 2017 auf Netflix
  • Selena Gomez, Schauspielerin und Sängerin, war als Executive Producer mit dabei und hat durch ihre Popularität entscheidend zum Erfolg beigetragen
  • Unter dem Titel der Serie wurden laut Twitter mehr als 3,2 Millionen Tweeds abgegeben
  • Hauptdarsteller sind Dylan Minnette als Clay und Katherine Langford als Hannah
  • Medienkritiker geben zu bedenken, dass der Suizid in der Serie glorifiziert werde und dadurch einen Werther-Effekt auslösen könnte
  • Die Umsetzung der kritisierten Szenen unterscheidet sich nicht wesentlich von denen in anderen Filmen mit FSK 12
  • In Neuseeland dürfen Jugendliche unter 18 Jahren die Filmepisoden nur zusammen mit Erwachsenen schauen
  • Eine 2. Staffel ist bereits in Diskussion



Chancen für die Medienbildung

Uneigentlich ist es wohl mehr die Überraschung der Kritiker, dass Jugendliche sich für solch harte Geschichten interessieren als die reelle Gefahr, dass das Anschauen einer Serie zum Anstieg der Suizidrate Jugendlicher führen wird. Ähnlich wie bei der Diskussion um die Gefährlichkeit von EgoShooter-Games werden auch hier verschiedene Tatsachen vermischt. Es kann zwar sein, dass suizidal gefährdete Jugendliche von Geschichten wie dieser magisch angezogen werden. Doch das Anschauen bzw. Lesen können wohl kaum die alleinige Ursache solch tragischer Schicksale sein.

Das generelle Interesse Jugendlicher an dieser Serie kann aber hilfreich sein, verschiedene medienpädagogische Themen in den Unterricht einfliessen zu lassen.

Nachfolgend 7 Beispiele, wie «13 reasons why»  sich für das Arbeiten in Kompetenzbereichen der Medienbildung des LP21 eignen kann und dem Grundgedanken: Begleiten statt verbieten.

1. Mobbingprävention: Darüber reden - immer wieder

Mobbing ist ein Thema, das sich nicht durch ein einmaliges Abhandeln im Unterricht aus der Welt schaffen lässt. Darüber habe ich in diesem Blogartikel eingehend berichtet. Man sollte also keine Chance, die sich bietet, ungenutzt verstreichen lassen, um darüber zu reden. Die Geschichte um Hannah Baker eignet sich speziell gut, weil die Jugendlichen sie sich auch wirklich anschauen wollen. Ihr grundsätzliches Interesse an Thema und Inhalt der Reihe ist überdurchschnittlich und die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen und darüber zu diskutieren, um die Erkenntnisse danach auf ihr eigenes Leben zu übertragen, ebenso.

Im Lehrplan ist diese Kompetenz wie folgt aufgeführt: 

Klicken zum Vergrössern
Klicken zum Vergrössern

Die neutrale Position der Aussensicht auf einen fiktiven Fall kann ausserdem helfen, seinen eigenen Blick zu öffnen und dabei zu erkennen, dass in einem Mobbingfall jeder eine Rolle einnimmt und es nicht möglich ist, sich der Verantwortung zu entziehen. Genau dabei können die Gründe für die Tat, die Hannah auf den Kassetten beschreibt und der Fokus auf die einzelnen Charaktere und Taten bzw. Nicht-Taten der Protagonisten von grossem Nutzen sein.

 

Sehr gut kann die Serie übrigens mit dem Lesen der Klassenlektüre «Ich hätte es wissen müssen» kombiniert werden. Diese ist in der Mediothek Sternmatt 2 ausleihbar - auch während des Umbaus.



2. Mit dem Blick der Erwachsenen

Neben der inhaltlichen Diskussion können auch übergeordnete Fragen diskutiert werden:

  • Wie beurteilen Jugendliche den Film, wenn sie sich vorstellen, Mutter/Vater eines Kindes zu sein? Ab welchem Alter würden sie die Geschichte dem Kind zumuten und warum?
  • Woher rührt die Sorge der Erwachsenen, dass der Film zum Nachahmen animieren soll (Werther-Effekt)?
  • In welchen Fällen könnte die Sorge begründet sein?
  • Woran wäre zu erkennen, dass jemand fachliche Hilfe braucht?
  • Und was kann die einzelne Schülerin/der einzelne Schüler tun, wenn er/sie um eine gefährdete Person weiss?


3. Den Hype für die Leseförderung nutzen

Selten ist die Motivation derart hoch, ein Buch zu lesen, wie wenn gerade ein erfolgreicher Film darüber läuft, den Erwachsene als ungeeignet empfinden. Man kann zwar darüber lamentieren, dass es besser wäre, zuerst das Buch zu lesen und erst danach den Film zu schauen, um seine eigene Fantasie nicht zu beeinflussen. Doch es geht sehr wohl auch anders. Der Hype um Bücher wie «Die Tribute von Panem» oder «Die Bestimmung» machten es vor: die Verkaufs- und Ausleihzahlen der Bücher schnellten erst nach der Verfilmung in die Höhe. Es ist also keineswegs ein Hindernis, auch nach dem Film das Buch noch zu lesen.

Und damit zur nächsten Chance:



4. Buch vs. Film - mit den Augen eines Drehbuchautors

Der Vergleich mit der ursprünglichen literarischen Vorgabe ist spannend. Dazu müssen nicht mal alle das ganze Buch lesen - es reichen auch die Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel. Hilfreich dabei ist die Literaturkartei, die jede Kassette von Hannah beschreibt, bzw. zusammenfasst:

Download
Literaturseiten zum Buch "Tote Mädchen lügen nicht"
Auszug - vollständige Ausgabe ausleihbar
1-Vorschau_als_PDF.pdf
Adobe Acrobat Dokument 2.8 MB
  • Welche Unterschiede bei Personen oder Handlung gibt es?
  • Warum stirbt Hannah in der Serie völlig anders als im Buch?
  • Weshalb füllt die Serie eine Zeitspanne von zwei Wochen, während im Buch alles in einer einzigen Nacht abläuft? 

Schülerinnen und Schüler erhalten durch die Antworten ein Bild davon, worauf es beim Drehbuchschreiben und in der Produktevermarktung ankommt.

 

Thema Drehbuch - weiterführende Links:



5. Making of: Bild- und Filmsprache decodieren

Beim Blick hinter die Kulissen können SuS erkennen, wie eine Szene umgesetzt werden muss, um sie für die Zuschauer attraktiv zu gestalten. Perspektiven, Farben und Details sind keineswegs zufällig gewählt. Sie beeinflussen die Zuschauer und sollen die Wirkung einzelner Aussagen verstärken. Dies sind wichtige Erkenntnisse über das Filmemachen.

Im Lehrplan findet sich diese Kompetenz im 3. Zyklus beim 2. Kompetenzbereich wie folgt formuliert: 

Klicken zum Vergrössern
Klicken zum Vergrössern

Am Beispiel des Trailers zur Serie lassen sich filmische Stilmittel untersuchen und erkennen (z.B. Spannungsaufbau durch schnelle Schnitte, persönliche Betroffenheit durch viele Nahaufnahmen,  Machtgefälle durch Froschperspektive, Wahl von passendem, auf die Szene geschnittenem Sound... )

Dank dieser Traileranalyse kann es gelingen, dass Jugendliche auch bei anderen Filmen auf solche Beeinflussungen aufmerksam werden und sie durchschauen.



6. Medienproduktion: Selber einen Trailer herstellen

Ein Trailer ist Werbung für einen Film oder ein Buch. Er macht neugierig und will ZuschauerIn/LeserIn animieren, den ganzen Film anzuschauen bzw. das Buch zu lesen.

 

Der Erfolg eines Trailers misst sich daran, wie gross das Bedürfnis nach dem Anschauen des Trailers ist, Film oder Buch zu konsumieren. Dies bedarf verschiedener Strategien, denen die SuS auf die Spur kommen können - z.B. indem sie den Trailer zur Serie zunächst detailliert auf seine Wirkung analysieren:

 

Welche Elemente gelungener Produkte-werbung  zeichnet die Netflix-Serie aufgrund des Trailers aus? Was spricht den Zuschauer an? Wodurch wird er animiert, die Serie zu schauen?

Aus den gewonnenen Erkenntnissen können sich SuS daran machen, in einer Kleingruppe einen Trailer für ein selbst gewähltes Buch zu entwickeln und in einem ersten Schritt ein Storyboard zu erstellen.

Weitere Details zum Erstellen eines Buchtrailers sind auf diesen Links nachzulesen:

per Klick vergrössern
per Klick vergrössern


7. Jugendliche Interessen ernst nehmen

Der Wirbel um die Serie lässt mich vermuten, dass Erwachsene kaum Bücher lesen, die für Jugendliche geschrieben worden sind. Das ist schade. Denn die Interessen jugendlicher Leserinnen und Leser werden unterschätzt. In der Regel sind es nicht Ponyhof-Geschichten, die ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern Bücher mit umstrittenen, sozialkritischen, psychologisch anspruchsvollen und gesellschaftlich relevanten Themen, die sie weit mehr interessieren. Oftmals keine leichte Kost, was da in den Regalen der Mediothek steht und die Bestenlisten anführt!  Aber dabei sehr bereichernd! Nicht nur die Romane selber, deren Geschichten einem noch lange nachgehen können, sondern auch die Möglichkeit, nach dem Lesen mit Jugendlichen zu diskutieren und dadurch einen Blick zu erhaschen, wie sie die Welt sehen. 

Viele Jugendliche haben - wenn man sie konkret fragt - erstaunlich klare Meinungen und interessante Lösungsvorschläge und Ideologien, wie sie die Zukunft gestalten wollen, was ihnen wichtig ist im Leben und was es dafür braucht, glücklich zu sein. Das stellt sich schnell heraus, wenn man auf die Details einer gelesenen Geschichte eingeht. Der unverbrauchte Pragmatismus Adoleszenter kann im Mix mit der Lebenserfahrung Erwachsener eine sehr gute Kombination abgeben - wenn man sich darauf einlässt.

Ich empfehle daher als niederschwelligen Einstieg für alle: Lest mehr Jugendbücher!

 

Besonders geeignet wären die grad aktuell neu publizierten Titel des Bookstar-Wettbewerbes - ausleihbar in der Mediothek ;)



Hinweis:

Ein (leider) anonymer Hinweis machte im April 2018 (!) auf einen Fehler im Blogbeitrag aufmerksam: Jay Asher ist natürlich ein Mann. Das ist nun korrigiert :)  Dankeschön!


Kommentar schreiben

Kommentare: 0